Seit Monaten wird in Serbien gegen die Regierung demonstriert, doch der Protest kommt in unseren Medien kaum vor. Warum ich darüber schreibe? Zuerst einmal weil diese mir insgesamt ein wenig Hoffnung in den derzeit sehr düsteren Entwicklungen auf allen Ebenen machen und dann auch, weil es mich erstaunt, dass sie in unserer Presselandschaft fast nicht vorkommen.
Ich verfolge diese Proteste nun seit fast dem Beginn. Zu verdanken habe ich das einem Bekannten, Dejan Mihalovic. Ich kenne Dejan seit einigen Jahren persönlich durch unsere gemeinsame Arbeit in der AG Bildung von D64. Dejan war mein Vorgänger als Co-Koordinator der AG und ich schätze ihn sehr als Mensch und als Pädagogen. Er hat serbische Wurzeln und auf seinem Mastodon-Kanal postet er seit Monaten Informationen und Zusammenfassungen der Proteste. Er stützt sich dabei sowohl auf ganz persönliche Quellen von Freunden und Bekannten in Serbien als auch auf viele weitere Quellen auf Instagram und anderswo.
Insbesondere die Studierenden in Serbien sind an der Spitze dieser Protestbewegung und für mich ist die Art und Weise, wie dort friedlich, nachhaltig und ohne nachzugeben gegen ein kaputtes System demonstriert wird ein Hoffnungsschimmer für andere Bewegungen, in den USA, bei uns oder auch in Ländern wie Ungarn.
Und spätestens jetzt, nach der großen Demonstration am 15.3. ist es wirklich an der Zeit, dass wir aufmerksam werden auf solche Bewegungen. Und vielleicht kann ich mithilfe von Dejan ein paar Einblicke geben, die man sonst vielleicht so nicht bekommt.
Vor dem Wochenende ist Dejan nach Belgrad gereist, um sich selbst ein Bild zu machen und uns teilhaben zu lassen.
Worum geht es in Serbien
Die Regierung des Präsidenten Aleksandar Vučić gilt als korrupt. In allen Sektoren hat sich aus der regierenden Fortschrittspartei eine Oligarchie entwickelt, in der ‚Freunden‘ und ‚Partnern‘ des Präsidenten unter Umgehung jeglicher Regelungen Aufträge zugespielt werden und dadurch praktisch alle Staatsinstitutionen kontrolliert.
Eine Folge dieser korrupten Gesellschaft war am 1. November der Einsturz des Vordachs am Bahnhof Novi Sad. Dabei kamen 15 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt. Dieser Vorfall löste eine Welle von Protesten aus. Ein Teil der Proteste verlief sich wieder, doch die Studierenden an den Universitäten nahmen den Impuls auf und traten in einen Streik, der bis heute anhält. Eine blutige Hand ist das Zeichen dieser Proteste. Die Regierung hat die Proteste zunächst weitgehend ignoriert und man gewinnt den Eindruck, als wüssten Vučić und seine (Partei-)Freunde nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollen. Große Auseinandersetzungen und Gewalt gab es bislang nicht. Ein paar Dinge wurden durch die Proteste auch erreicht. Immerhin musste Premier Miloš Vučević den Hut nehmen und es wurden Teile eines Berichts über das Unglück am Bahnhof veröffentlicht. Damit sind die Proteste aber natürlich nicht am Ziel; das heißt letztlich das Ende des Prinzip Fortschrittsparte (SNS, Srpska napredna stranka).
Von all diesen Vorgängen haben wir in Deutschland nur wenig mitbekommen, die großen Medien berichteten kaum. Etwas mehr und häufiger gab es in Österreich Informationen. Die EU hat wie es scheint kein besonderes Interesse an diesem Prozess in Serbien – schließlich ist man mit dem Land gut im Geschäft und hofft auf die Erschließung weiterer Rohstoffquellen für die Union. Offiziell gibt es keine Aussagen zu den Protesten. Am Samstag (15.3.) gab es nun einen großen Protest am Regierungssitz Belgrad, an dem – je nach Aussage – zwischen 100.000 und 300.000 Menschen teilnahmen. Abzuwarten bleibt, ob sich am Schweigen der EU oder in Deutschland dadurch etwas ändert.
Über die Protestes am Samstag wurde zumindest auch in der westlichen Presse berichtet – endlich. Aber ohne weitere sichtbaren Protest dieser Größe, werden die Berichte schnell wieder versiegen, so wie das bei zivilgesellschaftlichem Engagement leider häufig der Fall ist. Aber Dejan prophezeit, dass die Proteste nicht im Sande verlaufen werden, denn die Studierenden haben es geschafft, mit sehr umsichtigen, friedlichen und häufig sehr innovativen Protestformen, einen Gutteil der Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen. Dabei hatten viele Serbier*innen schon resigniert. Mit Protestmärschen und Radtouren durch auch kleine Orte kamen die Studierenden in Kontakt mit den Menschen nicht nur in den Städten sondern auch auf dem Land und konnten vielen neue Hoffnung bringen.
Nach ihren Demonstrationen sorgen sie dafür, dass die Straßen oft sauberer hinterlassen werden als zuvor, sie fordern nicht explizit den Rücktritt des Präsidenten sondern eine Veränderung des Systems.
Das Zitat aus einem Artikel vom österreichischen Standard steht bezeichnend für viele Aussagen und Bilder der letzten Wochen – nicht nur des gestrigen Protestes.
An der Blockade nahmen auch ältere Menschen teil, wie der 50-jährige Vladimir Petrović aus Kragujevac, der belegte Brote und Kuchen an die Teilnehmenden verteilte. Er sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Studenten hätten Serbien aus der Betäubung erweckt. „Sie haben meine Hoffnung wiederaufleben lassen“, sagte Petrović.
Und Aktionen wie die Unterstützung durch Taxifahrer, die Studierende nach einem 80-Kilometermarsch umsonst wieder nach Hause fuhren, Unterstützung durch Landwirte und viele weitere Berufsgruppen machen den Menschen immer mehr Mut, so dass der Schwung der Bewegung immer weiter Fahrt aufnimmt und weitere Mitstreitende gewinnt.
Bislang hält sich die Elite noch an der Macht, aber es beginnt zu wackeln. Bislang hat Vučić auch dem Drang widerstanden, Gewalt anzuwenden, doch natürlich weiß niemand, was die Zukunft bringt. Dazu nochmal Dejan.
Verfolgt diese Proteste – auch das, was durchaus auch in Ungarn oder den USA auf dieser Ebene passiert (und es passiert). Polen ist ein Beispiel dafür, dass die Dinge sich auch wieder in positivere Ebenen bewegen lässt.
Hier noch die Links zur Veranstaltung vom 15.3. Im Artikel des Standard sind weitere Hintergrundberichte verlinkt. Außerdem sollte man natürlich Dejan bei Mastodon folgen.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/belgrad-proteste-106.html
Bildquellen
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